Hypnotherapie: Noch nicht alle Indikationen entdeckt
Vollständiger Artikel aus „Deutsches Ärzteblatt, Ausgabe März 2004, Seite 125“
Von Frau Dr. Marion Sonnenmoser
„Obwohl die Wirksamkeit von Hypnose in vielen empirischen Studien nachgewiesen wurde, bestehen immer noch Akzeptanzprobleme und Informationsdefizite. Der Hypnose haftet immer noch der Ruf an, unseriös zu sein. Dazu tragen Ammenmärchen und Schauergeschichten bei wie diese: Unter Hypnose wird man willenlos und kann sogar dazu gebracht werden, einen Mord zu begehen. Auch Show-Hypnosen, die nur auf Effekthascherei aus sind, tragen zum suspekten Image der Hypnose bei. Wer sich davon nicht blenden lässt, sondern sich unvoreingenommen mit der Hypnose beschäftigt, wird feststellen, dass Hypnose fast universell einsetzbar ist. Zu dieser Erkenntnis gelangten jedoch nicht erst die moderne Medizin, Zahnmedizin und Psychotherapie. Trance und Suggestionen zählen zu den ältesten Heilmethoden und sind in allen menschlichen Kulturen bekannt. Körperfunktionen verändern sich unter Hypnose
Bei der Hypnose macht man sich einen Bewusstseinszustand zunutze, der sich vom Alltagsbewusstsein und vom Schlaf unterscheidet. Er ist nicht unnatürlich oder künstlich, denn er tritt bei jedem Menschen manchmal spontan auf. Dieser Zustand kann aus der Perspektive des Patienten beschrieben, aber auch an körperlichen Veränderungen festgemacht werden. Der Patient fühlt sich tief entspannt und empfindet sich losgelöst von der Umgebung. Er nimmt seine Innenwelt, also Gefühle, Erinnerungen, Zukunftsvorstellungen und Bilder, intensiver, lebendiger und realer wahr als im Wachzustand. Seine Aufmerksamkeit richtet sich nur auf diese Innenwelt oder auf die Stimme des Therapeuten. Störende Reize oder Schmerzen werden ausgeblendet. Der Körper wird anders empfunden, zum Beispiel als leichter oder schwerer. Die Logik und Zeit zählen nicht mehr. Das Denken erfolgt assoziativ, die Grenzen zwischen Fantasie und Realität werden durchlässiger. Unter Hypnose verändern sich zahlreiche Körperfunktionen. So lässt beispielsweise der Muskeltonus nach, das Herz schlägt langsamer und der Atem geht ruhiger. Die Konzentration von Leukozyten und anderer Immunparameter steigt bei entsprechenden Suggestionen an. Neurophysiologische Untersuchungen deuten auf eine veränderte Arbeitsweise des Gehirns unter Hypnose hin. So sind unter anderem Hirnareale aktiv, die für Aufmerksamkeitssteuerung und mentale Entspannung in Stammhirn und Frontalhirn zuständig sind. EEG-Untersuchungen zeigen, dass unter Hypnose die Thetawellen oder Alphawellen zunehmen, die auch im Zustand von Meditation und Entspannung vorherrschen. Diese biologischen Korrelate belegen, dass Hypnose mehr ist als Hokuspokus, ein Placeboeffekt oder Einbildung.
Im Zustand der Hypnose werden Bewusstseinsinhalte zugänglich, die sonst blockiert oder verschüttet sind. Das eröffnet dem Behandler viele Möglichkeiten. Er kann mittels direkter oder indirekter Suggestion die Aufmerksamkeit des Patienten auf übersehene Ressourcen oder auf Blockaden und deren Bewältigungsmöglichkeiten lenken und diese intensiv wieder erleben lassen. Dadurch können aktuelle schwierige Situationen gemeistert werden. Oder er kann den Patienten anleiten, sich körperliche Vorgänge vorzustellen und damit seine Selbstheilungskräfte mobilisieren. Eingesetzt wird diese Technik zum Beispiel zur Organheilung, indem der Patient sich intensiv ausmalen soll, wie seine Immunabwehr einen Tumor oder Viren zerstört. Die Therapie durch Hypnose, die auch als „Hypnotherapie“, „Hypnosetherapie“, „klinische Hypnose“ oder als „zahnärztliche Hypnose“ bezeichnet wird, zielt darauf ab, die natürliche Fähigkeit des Patienten zur Gestaltung seelischer und körperlicher Vorgänge aktiv zu nutzen.
Hypnotherapie eignet sich zur Behandlung von ganz unterschiedlichen Erkrankungen. In der Medizin wird sie eingesetzt zur Anästhesie, Schmerztherapie, OP-Vorsorge und Nachsorge sowie zur Geburtsvorbereitung. Sie dient der Behandlung von Tinnitus, Arthritis, Autoimmunkrankheiten, Allergien, Asthma, Blutdruckerkrankungen, Tumorerkrankungen, Migräne, Neurodermitis, Reizdarm, Herpes und Warzen. Hypnotherapie ist dafür geeignet, weil sie die Immunabwehr und Wundheilung unterstützt. In der Psychotherapie kann Hypnotherapie bei Depressionen, Ängsten, Zwängen, Traumata, Kontakt- und Beziehungsstörungen, sexuellen Störungen, Schlafstörungen, Süchten, psychogenen Schmerzen, Essstörungen sowie Aufmerksamkeits- und Verhaltensstörungen helfen. In der Zahnmedizin wird Hypnotherapie zur allgemeinen Angstreduktion, zur Reduktion von postoperativen Reaktionen, zur Anästhesie und bei Spritzenaversion eingesetzt. Die neuesten einschlägigen Forschungen weisen darauf hin, dass die Indikationsfelder und Behandlungsmöglichkeiten durch Hypnotherapie noch längst nicht alle entdeckt sind.
Hypnotherapie hat sich also mittlerweile einen festen Platz in Medizin und Psychotherapie erobert. Dennoch gibt es seitens Patienten, Ärzten und Psychotherapeuten nach wie vor Informationsdefizite und Akzeptanzprobleme. Um diese zu reduzieren, veranstaltete die Arbeitsgruppe Revenstorf am Psychologischen Institut, Abteilung Klinische und Physiologische Psychologie, an der Universität Tübingen unter Leitung von Prof. Dr. Dirk Revenstorf Anfang Dezember 2003 einen „Tag der Hypnotherapie“. Die Tübinger Forscher informierten dabei über die Wirkungsweise und Techniken der Hypnotherapie und stellten verschiedene Studien und Behandlungsprogramme vor. Zurzeit werden in der Arbeitsgruppe Revenstorf Programme für Herpes und Neurodermitis erprobt. Programme für Bulimie bei Frauen, chronische Darmerkrankungen (Colitis ulcerosa, Morbus Crohn) bei Kindern und Jugendlichen sowie Migräne bei Erwachsenen werden demnächst angeboten. Evaluierte Programme sind für Adipositas bei Erwachsenen, Geburtsvorbereitung, Migräne bei Kindern, Rauchen und Schlafstörungen bei Erwachsenen und Kindern vorhanden und werden regelmäßig angeboten.
Auch wenn die Einsatzmöglichkeiten von Hypnotherapie fast grenzenlos erscheinen, gibt es Einschränkungen. Hypnotherapie kann nur erfolgreich sein, wenn der Patient mitarbeitet und wirklich eine Veränderung will. Sie setzt außerdem einen gewissen Grad an Hypnotisierbarkeit oder Suggestibilität des Patienten voraus. Diese ist angeboren und kann von schwach bis stark ausgeprägt sein. Ein mittlere Suggestibilität ist jedoch ausreichend. Förderlich ist eine positive Einstellung zur Hypnose, Offenheit und Vertrauen sowie Aufmerksamkeits- und Imaginationsfähigkeit. Nicht zu empfehlen ist Hypnotherapie zur Behandlung psychotischer Störungen und bei paranoiden und hysterischen Persönlichkeiten. Bei zwei bis fünf Prozent der Patienten treten Nebenwirkungen auf wie Kopfschmerzen oder agitierte und depressive Irritationen. Hypnose löst oft Ängste vor Miss-
brauch aus. „Für Hypnotherapie gilt jedoch das Gleiche wie für andere Therapieformen“, sagt Revenstorf, „es kommt immer darauf an, wer sie anwendet.“ Ein guter, erfahrener Hypnotherapeut geht verantwortlich mit seinen Patienten um. Er stärkt ihre Eigenkontrolle und Selbstständigkeit und orientiert sich an ihren Bedürfnissen. Darüber hinaus legt er Wert darauf, dass der Patient das Gefühl der Selbstbestimmung hat.
Hypnotherapie lässt sich gut mit anderen Therapiemethoden kombinieren, zum Beispiel mit tiefenpsychologisch fundierten Therapien, mit Psychoanalyse und mit Verhaltenstherapie. In der Hypnotherapie muss der Patient die Kontrolle über Bewusstseinsinhalte abgeben. Das fördert Regression, Übertragungen und eine kindliche Lernhaltung und macht den Patienten empfänglicher für Suggestionen, Kreativität und therapeutische Erfahrungen. Psychodynamisch orientierte Therapeuten können sich die größere Nähe zu unbewussten Inhalten, den verminderten Widerstand und die reichhaltigeren Assoziationen zunutze machen. In Trance ist es außerdem möglich, Träume zu induzieren und zu lenken.
Die Wirksamkeit von Hypnotherapie ist in über 200 empirischen Studien nachgewiesen worden. Dennoch ist sie wissenschaftlich noch nicht anerkannt. Um dies zu erreichen, haben 30 Experten unter der Leitung von Prof. Revenstorf eine Expertise erstellt, die beim Wissenschaftlichen Beirat Psychotherapie eingereicht wurde. Nun gilt es abzuwarten.“
Kommentar:
Anzumerken wäre hierzu, dass die Richtlinien bzw. Kriterien, wie sie der Wissenschaftliche Beirat Psychotherapie für die Aussagefähigkeit und Wissenschaftlichkeit von Studien zugrunde legt, im Bereich Hypnosetherapie in vielen Fällen ein hypnose-bejahendes Ergebnis unmöglich machen. Wenn 100 Probanden Induktion und Suggestion in exakt gleicher Form dargeboten werden, teilweise sogar explizit vom Band abgespielt werden, um die Gleichheit zu gewährleisten, muss jedem Fachmann klar werden, dass die Ergebnisse nicht besonders positiv ausfallen können. Schließlich ist Hypnose zum einen Vertrauenssache – und wer vertraut schon einem abgespielten Tonband? – zum anderen weiss jeder Hypnosetherapeut, dass er unterschiedliche Klienten auf unterschiedliche Weise bedienen muss, um sie wirklich zu erreichen. Hier stellt sich die Frage, welches Ergebnis bei solchen Studien erreicht werden wollte.